Wann immer ich zu ihr gegangen bin, hat mich ihre Präsenz gefangen genommen. Je nach dem, aus welcher Richtung man kommt, kann man ihre Laterne schon von Weitem über den Dächern der Nachbargebäude sehen. Hochaufragend, stark und kraftvoll steht die Rotunde aus Stahl und Wellblech zwischen den Wohnhäusern. Trotz ihrer ruinösen Erscheinung, ihrer Größe und der Form, die wie ein Fremdkörper im städtischen Gefüge liegt, versetzt sie ihre Umgebung unter Spannung. Diese Spannung anzureichern und den Ort durch Kultur wiederzubeleben, müsste das Ziel sein, wenn man sich ihrer annimmt; sie scheint darauf zu warten1. 

 

Beginnt man sie zu umkreisen, wird das Gehen dem Schreiten durch ein großes Kirchenschiff ähnlich. Wie schön diese Schreiten wohl in ihrem Inneren wäre, habe ich mir oft vorgestellt; die Hände am Rücken verschränkt und den Blick bis in die Höhe der Laterne schweifen lassen; sie als Ganzes, als einen Raum spüren, sehen und hören zu können, wurde mein Wunsch und Leitgedanke des Entwurfs.

Mir war bereits nach wenigen Augenblicken klar, dass dieses Gebäude wieder ein Theater werden muss. Das es sich zu seiner Umgebung und den Bewohner hin öffnet, sie teilhaben lässt, auch wenn gerade keine Veranstaltung ist. Ein einfaches, auf das Wesentliche reduzierte Theater, ähnlich dem »Schiller-Theater« vom Beginn des 20. Jahrhunderts. Mit einem eigenen kleinen Ensemble, dass sich in Ihren Stücken mit Sprache, Theater, Tanz und Musik beschäftigt, aufgeführt in einem besonderen Gebäude, mit einem besonderen Saal. 

Dafür wird das alte Wellblech und das Dach abgenommen; die reine Konstruktion erscheint. Sie wird wieder umkleidet mit einer glänzenden, metallischen Haut, die sich ebenerdig immer wieder groß öffnet und Blicke in ihr Inneres gewährt. Man durchsticht diese metallische Haut durch zwei niedrige, dunkle Eingangsportale. Auf sie folgt der große Raum des alten Zirkusgebäudes, freigelegt von allen ehemaligen Einbauten; die Kraft der Stahlkonstruktion wird spür- und sichtbar. »Wandelhalle« habe ich diesen Raum genannt, der tagsüber offen und frei zugänglich ist, ein Teil des städtischen Raumes wird; Abends dann, vor den Aufführungen, wird er zum großen Foyer; Menschen gehen langsam umher, unterhalten sich angeregt und warten voller Vorfreude. 

 

Mittig in sie hineingestellt, ein Zylinder, bis zum Lichtgaden des Pultdaches aufragend, gegossen aus Mauerschalen in dunklen Beton. Man kann über sie hinweg blicken. Ein Gefäß für Bewegung, Gefühle, Ausdruck und Klang. 

Der Rundung entlang, lässt sich der Saal komplett umlaufen; den Rhythmus der Stützen aufnehmen: Zusammenklang auch ohne Klang2. Man läuft auf hellem Beton, der das Sonnenlicht von draußen reflektiert; tiefer Schatten und glänzendes Sonnenlicht wechseln sich stetig ab. Immer wieder kann man den Zylinder betreten, nach einer kleinen Stufe sich in ihm weiterdrehen, oder die Richtung ändern, um in den Saal zu gelangen. Durch die Eingänge schimmert bläuliches Licht, die Dunkelheit und Enge, wird durch die Höhe und Weite des Saals abgelöst. Eingekleidet in tiefblau lackiertes Holz, scheint die Luft zu vibrieren. Spannung kommt auf, wenn das Licht gedimmt wird und das Blau in der Dunkelheit noch leicht in der Ferne schimmert.

Ein runder, in der Höhe beweglicher Bühnenboden liegt in der Mitte. Die Aufführung ist der Mittelpunkt, um den sich die Zuschauer herum gruppieren können. Der Raum kann aber auch frei bespielt werden, mit sich verändernden Beziehungen zwischen Publikum und Künstlern, je nach Verortung der Bühne. Es ist ein spannender Gedanke, dass die aufgeführten Stücke sich mit der besonderen räumlichen Umgebung verbinden und ohne sie nicht mehr denkbar wären. Wenn man in einem großen Raum arbeitet, muss man die Handlung auf das Wesentliche reduzieren, sagt Giovanni Netzer3.

  

Um einen funktionierenden Theaterbetrieb herzustellen, werden die umliegenden, niedrigen Bauten entfernt, die früher die Nebenräume für das Theater beherbergten und durch drei eigenständige Gebäude ersetzt; einem Haus für das Ensemble, mit Räumen zum Proben, Garderoben, Lager für die Requisiten und Technik, und einem Café für die Künstler und Bewohner des Stadtteils gleichermaßen. Das längliche, elegante Gebäude liegt im Süden und bildet zwischen sich und der Rotunde einen Platz, zu dem einer der Theatereingänge liegt und das Café seinen Außenbereich hat. Ich stelle ihn mir gerne belebt vor, Spannungsreich zwischen den beiden Häusern gelegen; ein Ort, an dem Menschen sich treffen.

 

Das Besucherhaus, das an gleicher Stelle steht, wie das vorherige Eingangsgebäude, mit Garderoben und einem Ticket- und Buchshop für die Besucher, in Größe und Gestaltung an seinen Vorgänger angelehnt. Und einem einfachen Wohn- und Bürohaus, das sich im Osten in einer Baulücke befindet; in dem ebenerdig die Verwaltung und Intendanz sitzt und den darüber liegenden Geschossen großzügig Platz für Wohnungen bietet. Alle diese Häuser sind im gleichen, glattgeschalten und dunkel eingefärbten Beton gehalten, wie der Zylinder im Inneren der Rotunde. Sie erhalten so nicht nur einen Bezug zum Theater, sondern bilden gemeinsam auch eine städtebauliche Einheit.

 

1 Rees, Dr. Anke (2016). Das Gebäude als Akteur. Architektur und ihre Atmosphären. Zürich: Chronos Verlag, S. 118.

 

2 Handke, Peter (2016): Vor der Baumschattenwand nachts. Zeichen und Anflüge von der Peripherie 2007-2015. Salzburg und Wien: Jung und Jung, S. 327.

 

3 Netzer, Giovanni (2017). Link: https://www.youtube.com/watch?v=e_ImHPXnjM8, (29.07.2018)

 

Die vorangegangenen einleitenden Worte, sowie alle Bilder und Pläne, sind ein Exzerpt aus meiner Bachelor Abschlussarbeit, die sich mit der Wiederbelebung und Umgestaltung der »Schiller-Oper« in Hamburg beschäftigt hat. Sie ist am Department für Baudenkmalpflege von Prof. Manuel Thesing, an der Münster School of Architecture, im Sommersemester 2018 entstanden.